Unter dem Druck, die Einwanderungsgesetze zu verschärfen, gab die Bundesregierung bekannt, dass sie 28 Kriminelle nach Afghanistan abgeschoben habe. Amnesty International sagte, Berlin laufe Gefahr, zum Komplizen der Taliban zu werden. Zum ersten Mal seit der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan vor drei Jahren hat Deutschland am Freitag (30.08.) afghanische Kriminelle in ihre Heimat abgeschoben. Der Schritt erfolgt, da die deutsche Regierung einem wachsenden Druck ausgesetzt ist, die Einwanderungsgesetze zu verschärfen.
Die 28 abgeschobenen Afghanen seien „wegen Straftaten verurteilt und haben kein Bleiberecht in Deutschland“, sagte der Sprecher der Bundesregierung, Steffen Hebestreit. Nach Angaben der Nachrichtenagentur DPA handelte es sich allesamt um Männer.
Kurz vor 5 Uhr morgens startete an diesem Freitag ein Charterflug vom Flughafen Leipzig in Ostdeutschland in Richtung Kabul, der Hauptstadt Afghanistans, genau eine Woche nachdem ein von der Terrorgruppe „Islamischer Staat“ behaupteter Messerangriff das Land erschüttert hatte.
Der Angriff ereignete sich auf einem Straßenfest in Solingen im Westen des Landes und forderte drei Tote und acht Verletzte. Der Hauptverdächtige ist ein 26-jähriger Syrer, der abgeschoben werden sollte.
Zu den ersten Abschiebungen von Afghanen in den letzten Jahren kam es auch am Vorabend zweier Regionalwahlen in Ostdeutschland, die für Sonntag geplant sind. In Meinungsumfragen liegt die rechtsextreme, einwanderungsfeindliche Partei Alternative für Deutschland (AfD) in Thüringen auf Platz eins und in Sachsen auf Platz zwei, fast gleichauf mit der Christlich Demokratischen Union (CDU).
„Unsere Sicherheit ist wichtig und unser Rechtsstaat ist in Aktion“, sagte die deutsche Innenministerin Nancy Faeser.
Am Montag sagte Bundeskanzler Olaf Scholz, die Regierung werde Maßnahmen ergreifen, um die Waffenkontrolle zu verschärfen und die Abschiebung von Menschen zu beschleunigen, deren Asylanträge im Land abgelehnt wurden. An diesem Donnerstag wurde ein diesbezügliches Maßnahmenpaket angekündigt.
„Ein Zeichen für Kriminelle“
Nach Angaben des deutschen Magazins „Der Spiegel“ waren die Abschiebeflüge nach Afghanistan das Ergebnis zweimonatiger „Geheimverhandlungen“, bei denen Katar als Vermittler zwischen den Berliner Behörden und den Taliban fungierte.
Zur Frage, ob Katar tatsächlich eine Rolle spielte, wollte sich Hebestreit nicht äußern. Deutschland habe lediglich seine regionalen Partner um Unterstützung bei der Erleichterung der Abschiebungen gebeten. Der Sprecher betonte, dass es keine direkten Gespräche mit den Taliban-Behörden gegeben habe.
Deutschland schloss seine Botschaft in Kabul und stoppte Abschiebungen nach Afghanistan, nachdem die Taliban im August 2021 an die Macht zurückgekehrt waren. Die Taliban-Regierung wurde von keinem Land offiziell anerkannt, da sie eine strenge Auslegung des islamischen Rechts durchsetzte und international insbesondere wegen der Einschränkung von Frauenrechten kritisiert wurde. Land.
Hebestreit sagte, dass Deutschland mit der Wiederaufnahme der Abschiebungen „ein Signal an potenzielle Kriminelle oder Personen, die Verbrechen im Land planen“, sende.
Nach Angaben deutscher Behörden befanden sich unter den an diesem Freitag abgeschobenen Afghanen auch Gewalt- und Sexualstraftäter. Einer von ihnen war ein Mann, der an der Gruppenvergewaltigung eines 14-jährigen Mädchens beteiligt war.
Die Bundesregierung steht unter Druck
Die Scholz-Regierung steht zunehmend unter Druck, die illegale Migration einzudämmen und härter gegen Asylbewerber vorzugehen, die als gefährlich gelten oder nach einer Reihe aufsehenerregender Straftaten verurteilt wurden.
Der Tatverdächtige des Anschlags in Solingen letzte Woche hätte schon vor einiger Zeit nach Bulgarien abgeschoben werden sollen, doch die Aktion scheiterte, weil die Behörden ihn nicht finden konnten.
Zuvor, im Mai, wurde ein 25-jähriger Afghane beschuldigt, bei einem Messerangriff auf einem Platz in der Stadt Mannheim einen Polizisten getötet zu haben. Diese Verbrechen haben die Debatte über die Abschiebung schwerer Straftäter neu entfacht, selbst wenn sie aus als unsicher geltenden Ländern wie Afghanistan und Syrien stammen.
An diesem Donnerstag kündigte der Innenminister an, dass Abschiebungen in beide Länder Teil eines Maßnahmenpakets zur Stärkung der Sicherheits- und Asylpolitik sein werden.
Bei den Wahlen am Sonntag in den Bundesländern Sachsen und Thüringen dürfte die Unzufriedenheit mit der Einwanderung eine große Rolle spielen. Während die AfD in Meinungsumfragen vorne liegt, rechnen Scholz‘ Koalitionsparteien – die Sozialdemokratische Partei (SPD), die Grünen und die Liberaldemokratische Partei (FDP) – mit einer deutlichen Niederlage.
„Niemand ist in Afghanistan sicher“
Die Menschenrechtsgruppe Amnesty International verurteilte die Entscheidung, die Abschiebungen nach Afghanistan wieder aufzunehmen, und warf Berlin vor, Wahltaktiken anzuwenden und gegen völkerrechtliche Verpflichtungen zu verstoßen.
„Niemand ist in Afghanistan sicher. Wir alle haben Menschenrechte und niemand sollte in ein Land abgeschoben werden, in dem Folter droht“, sagte Julia Duchrow, Leiterin von Amnesty International in Deutschland. „Wenn die Bundesregierung weiterhin Menschen nach Afghanistan abschiebt, besteht die Gefahr, dass sie zu Komplizen der Taliban werden.“
Auch die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock und ihre Grünen äußerten sich skeptisch gegenüber Abschiebungen nach Afghanistan und warnten, dass dies eine indirekte Anerkennung der Taliban-Regierung bedeuten würde. Baerbock sagte, Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan seien in bestimmten Fällen möglich.
In einem am Freitag veröffentlichten Interview mit dem Spiegel sagte Scholz, die Regierung respektiere bei allem, was sie tue, „die Verfassung“. „Aber es ist klar, dass jemand, der in unserem Land schwere Straftaten begeht, nicht den gleichen Schutz genießen kann wie jemand, der sich anständig verhält“, betonte er.
if/le (afp, dpa)